Im Frühjahr gilt es landauf, landab den Schmalrehen und Böcken. Doch auch nichttragende und schlecht durch den Winter gekommene einzelne weibliche Stücke sowie Geltgeißen ließen sich gut erkennen und störungsfrei erlegen. Ein paar Gedanken dazu

Da saß ich nun am 1. Mai in aller Herrgottsfrühe endlich wieder draußen an dem kleinen Feldgehölz. Viel war allerdings nicht los – ein Spießböckchen auf astronomische 190 Meter, ein Dickschiff von einer tragenden Geiß und eine rappeldürre, kantige Alte mit verschmutztem Spiegel. Ich gebe es zu: Die Versuchung war groß. Probeweise ging ich auch in Anschlag. Am Ende aber verschwand die alte Tante nach hektischem Morgenmahl unter ständigem Scheinäsen Gott sei Dank ohne langanhaltendes Schreckkonzert wieder im Bestand.

 



Das Ansprechen von weiblichem Rehwild ist 

noch schwieriger als bei Böcken.

Tja, die Jagd- und Schonzeiten sind unmissverständlich! Probleme im Verdauungsapparat – kurz Dünnschiss – sind meist kein Grund, den Tierschutz zu bemühen und das Stück doch zu erlegen. Ich mache es kurz: Zweimal hab ich die Geltgeiß dort noch bestätigen können, zum 1. September war sie dann wie vom Erdboden verschluckt. Ob sie in der Zwischenzeit eingegangen war, keine Ahnung. Trotzdem reifte in mir der Wunsch, dieses Tabuthema einmal zu beleuchten.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Beim weiblichen Rehwild ist ein Wahlabschuss noch schwieriger als bei den Böcken, bei denen man sich u.a. an der Stärke des Gehörns orientieren kann. Dennoch wäre ein intensiver Wahlabschuss zu begrüßen, schließlich ist er ein wichtiges Instrumentarium für einen starken, gesunden Rehbestand.



Ferdinand von Raesfeld prangerte in "Das Rehwild"
schon 1956 die fehlende Schusszeit im Frühjahr an.

Der Weg zum körper- und knochenstarken Rehwild geht nur über starke Mütter mit starkem Nachwuchs bei geringerer (!) Wilddichte. Die Konstitution der Geißen ist entscheidet für die qualitative Entwicklung der Kitze. Mit sinkender Geißenstärke sinkt auch die Kitzstärke, und die Knopfspießer-Anteile bei den Jährlingen nehmen zu. Ein Verlust in der Jugendentwicklung kann dabei kaum mehr aufgeholt werden. Das Phänomen kennt man ebenfalls aus der Haustierhaltung.

Die Qualität der Geißen, der altehrwürdige Ferdinand von Raesfeld schrieb vom „Zuchtwert“, ist nach der Stärke der Kitze zu beurteilen. Er bedauerte in der mir vorliegenden Ausgabe seines Klassikers „Das Rehwild“ von 1956, dass der Gesetzgeber „uns leider nicht eine, wenn auch nur kurze Jagdzeit für weibliches Rehwild in Frühjahr zubilligt“. Zumal zu diesem Zeitpunkt die Geißen auch unbedenklich von den Kitzen des Vorjahres weggeschossen werden könnten. Denn stellt man beispielsweise einen unterernährten, rachitischen Jährling bei einer schwachen, nichttragenden Geiß fest, hat die so früh im Jahr natürlich Schonzeit. Genau diese dann im Herbst wiederzufinden, gestaltet sich unter Umständen schwierig.



Hier kann man v. Raesfelds Gedanken
schwarz auf weiß
nachlesen.

Wenngleich sich bei genauer, wiederkehrender Beobachtung besondere Kennzeichen bei weiblichem Rehwild gut entdecken lassen: etwa die Länge und Farbe der Schürze, einen hellen Halsring, einen auffälligen, aber regional unterschiedlich stark ausgebildeten Drosselfleck, die Deckenfärbung, doch auch Verhaltensmuster wie die Nutzung bestimmter Wechsel und Äsungsflächen.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!

Nach dem Studium einschlägiger Publikationen sind sich die Fachleute weitestgehend einig und nach folgenden Konstellationen wären demnach weibliche Stücke zu erlegen:
  • Alle Stücke, die eine struppige, glanzlose Decke, einen verschmutzten Spiegel haben bzw. stark husten und auffallend spät verfärben; sie sind in der Regel krank oder alt (Achtung: Muttertierschutz beachten!).
  • Schwache Geißen mit schwachen Kitzen (im Herbst).
  • Mütter von schlecht veranlagten Jährlingen.
  • Überalterte (Gelt-)Geißen, weil die oft bis zur Schwelle des Greisen­alters fortpflanzungsfähig bleiben, deren Ernährung aber wegen der Zahnabnutzung leidet, sie dann schlecht Milch geben und in Folge schwache Kitze haben. Oder gar nicht mehr innehaben.
  • Spät setzende Geißen, da der Nachwuchs schwach in den Winter geht.
Derzeit kann man allerdings nur im Frühjahr zum Zeitpunkt des Haarwechsels wichtige Erkenntnisse für später im Jahr gewinnen. Junge und gesunde Rehe verfärben zuerst, kranke und alte zuletzt. Im Frühjahr kann man die Mütter von schlechten Jährlingen gut ausmachen, da diese bis zum Setzen noch bei der Geiß stehen. Den Jährling erlegt man gleich, die Geiß samt Kitz im Herbst. Wer darüber hinaus in der herbstlichen Verfärbezeit noch spät im roten Sommerkleid ins Auge sticht, sollte getrost ebenfalls entnommen werden. Solche Stücke sind meist steinalt oder krank.

Was wäre eigentlich, wenn doch...

In jedem Revier ziehen immer weibliche Stücke ihre Fährte, die weder tragen noch führen. Im Frühjahr während der Setzzeit und vor der Mahd lassen sie sich eindeutig ansprechen und von allen führenden Geißen unterscheiden. Nach der Mahd, wenn einige Geißen ihre Kitze verloren haben und die „Milchbar“ versiegt, ist das wichtigste Ansprechmerkmal weg. Denn es gilt speziell den nichtführenden (!) und nicht den durch einen Mähtod nicht mehr führenden Geißen!



Wer seinen Rehbestand nicht wie seine Westentasche kennt,
sollte im Frühjahr bei der Bock- und Schmalrehjagd bleiben!

Allen Kritikern, die jetzt aufschreien, darf man entgegnen, dass es moralisch gesehen keinen Unterschied macht, ob man im Mai ein Schmalreh, einen Bock oder eine nichtführende Geiß erlegt. Auch der Trumpf „Ruhe in der Aufzuchtzeit“ sticht nicht, da wir Bock und Schmalreh bejagen und Ruhe eigentlich im Winter (der Organismus des Rehwildes ist nicht wegen der Kälte, sondern wegen der Tageslänge auf Sparflamme) viel nötiger wäre. Zu diesem Zeitpunkt finden aber ständig Drückjagden angeblich wegen der Sauen statt, bei denen Rehe eben mitbewegt und -gejagt werden.

Fazit:
Wenn der Gesetzgeber dieses Thema doch einmal anfassen sollte, darf sich trotzdem nur der daran wagen, der Tag und Nacht im Revier ist und seinen Rehwildbestand genauestens kennt; das setzt voraus, dass er die Zeit hat, das ganze Jahr über genau zu beobachten und anzusprechen. Alle anderen, die nur ab und an zur Jagd gehen oder – und das ist nicht abwertend gemeint – reine „Sonntagsjäger“ sind, sollten davon unbedingt die Finger lassen und im Frühjahr bei der Schmalreh- und Bockjagd bleiben!

 

Text: Sascha Numßen, numssen@gmx.de, 0036 300 85 1071

Bilder: Yuriy Mayatnikov - unsplash, Yann Lerjen - unsplash, Sascha Numßen

März 30, 2024 — Sascha Numßen