Die Jagd ist kein statisches Gebilde, auch sie entwickelt sich weiter. Gerade in den letzten zehn bis 15 Jahren aber wurde das Jagen zunehmend technischer. Wo liegen die Vor- und Nachteile? 

 

 

In den letzten 100 Jahren wurde schon ein paar Mal der Kanon auf den Untergang des deutschen Waidwerks angestimmt. Häufig hatte das Rumoren in der Jägerschaft mit neuen technischen Errungenschaften oder deren Einsatz respektive deren Legalisierung zu tun. Werfen wir doch mal einen Blick zurück…

 

 

Erst war der Aufschrei groß, doch heute will niemand
mehr auf den Rotpunkt im Absehen verzichten!

 

Um die Jahrhundertwende erlegte ein Jäger sein Wild mit einem Schuss über Kimme und Korn. Als die ersten Zielfernrohre auf Repetierbüchsen auftauchten, galten sie innerhalb der Jägerschaft als etwas für Schießer oder allenfalls für die Alten, die eben nicht mehr so gut gucken konnten und vielleicht besser die Büchse gleich an den Nagel hängen sollten. Dennoch setzten sich anfangs 2,5- und vierfache Zielfernrohre durch und waren irgendwann auch nicht mehr wegzudenken. Die starre Vergrößerung (4x32, 6x42, 8x56) war danach lange Jahre der Standard, später hielten aber immer mehr variable Zielfernrohre Einzug, um für alle jagdlichen Eventualitäten – Ansitz, Pirsch und Drückjagd – mit nur einer Zieloptik gerüstet zu sein. Zuerst mit vierfachem (1,5-6x42), dann mit sechsfachem (2-12x50) und aktuell mit achtfachem (2,3-18x56) Zoom.

 

Vom Leuchtabsehen zur Nachtsichttechnik

 

Über die Jahre wurden zudem die Objektivdurchmesser der Zielfernrohre immer größer, weil man nachts den Sauen an die Schwarte wollte, um Wildschäden zu verhindern und das eigene Portemonnaie zu schonen. Das 8x56 war das Standard-Fernglas und auch -Zielfernrohr vieler Mondscheinjäger. 1993 gesellte sich dann dank des unermüdlichen Einsatzes von Manfred Alberts (damals Swarovski-Importeur) der Leuchtpunkt im Absehen des Zielfernrohrs hinzu, der bis dato laut Jagd- und Waffengesetz absolut verboten war. Auch hier schrien Teile der Jägerschaft Zeter und Mordio, der Optikbranche bescherte das beleuchtete Absehen jedoch Rekordumsätze. Heute spielen Zielfernrohre ohne Leuchtabsehen im deutschsprachigen Raum kaum mehr eine Rolle.

 

Seit ihrer Legalisierung gehören Aufsatz- und Vorsatzgeräte
zur modernen Nachtjagdtechnik.

 

Seit ein paar Jahren ist die Entwicklung hinsichtlich der Objektivdurchmesser sogar wieder rückläufig, weil der Gesetzgeber Nachtzieltechnik als Vorsatzgerät mit Wärmebildkamera oder Nachtsichtverstärker legalisiert hat. Da braucht es nicht mehr die großen Zielfernrohr-Objektive für die Schwarzwildjagd in der Dunkelheit. An diese Wildart war nämlich die Legalisierung dieser ehemals zur Jagd verbotenen Technik geknüpft. Mittlerweile erlauben zum Beispiel Niedersachsen und Baden-Württemberg damit ebenfalls die Jagd auf Raubwild. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann man von Seiten der Waldbesitzer und Förster auch am Nachtjagdverbot auf das übrige Schalenwild rüttelt, schließlich will man ja den Wald retten.

 

Wie wird das Wild reagieren?

 

Darüber, ob sich die Jagd mit Nachtzieltechnik positiv auf das Verhalten des Wildes auswirkt, oder ob sie Bewegungsmuster und Aktivitätsphasen sogar noch verschärft, gibt es ein geteiltes Echo. Befürworter heben die Effektivität zu Schadenszeiten hervor und sprechen von weniger Jagddruck. Kritiker sehen die größte Gefahr darin, dass man nun auch die Nacht zum Tag macht und das Wild selbst im Schutz der Dunkelheit keine Ruhe mehr hat. Mit der bekannten Folge, dass sich die Wildschadenssituation sogar noch weiter verschärfen kann. Ob der Einsatz dieser Technik für wieder tagaktives oder aber für noch scheueres Wild sorgen wird, werden wir erst in eine paar Jahren wissen.

 

Die Wärmebildkamera (WBK) hat die Nacht zum Tag gemacht.
Wie wird das Wild langfristig darauf reagieren?

 

Aus dem Blickwinkel des Tierschutzes sind Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras jedoch eine Bereicherung. Denn während früher im Stockfinsteren teilweise einfach „mittendrauf“ geschossen wurde, wird der waidgerechte Schuss in der Dunkelheit mit den neuen technischen Möglichkeiten viel leichter und zusätzlich die Hinterlandgefährdung minimiert. Dem stehen aber auch rasch eingeleitete, eigenmächtige Nachsuchen mit der Wärmebildkamera nach Schweiß oder dem verendeten Stück entgegen. Oft müdet man zu früh auf oder findet nichts, weil das Stück etwa in einer Senke liegt oder hinter einer Bodenwelle verendet ist. „Dann ging’s wohl vorbei“, lautet allzu oft das einfache Fazit. Unterm Strich kann jedoch keine Technik der Welt die Hundenase ersetzen!

 

Waidgerecht hat nichts mit Technik zu tun!

 

Bei aller Aufrüstung darf man das Thema Waidgerechtigkeit sowieso nie aus dem Blick verlieren. Auch Selbstlader waren innerhalb der Jägerschaft verpönt und galten als Waffen für Leute mit lockerem Zeigefinger. Doch ist ein Drilling, geladen mit zwei Brenneke-Flintenlaufgeschossen und einer Kugel, tatsächlich das waidgerechtere Gewehr für eine Drückjagd? Bei zwei unterschiedlichen Vorhaltemaßen für Brenneke und Kugel ganz sicher nicht! Trotzdem fand man noch Mitte der 1990er Jahre auf der einen oder anderen Jagdeinladung im Kleingedruckten den Hinweis „Selbstlader unerwünscht!“.

 

Allerdings ist in der Tat die Knallerei auf Drückjagden mit dem flächigen Einzug der Geradezugrepetierer gefühlt „schlimmer“ geworden. Jeder war doch schon auf Bewegungsjagden, bei denen nach vier Schuss Dauerfeuer, weil man eben schnell repetieren und nachschießen kann, doch nur eine armselige Kreatur am Stand lag; gottlob gingen die anderen drei hastig hingeworfenen Kugeln fehl. Egal, welche Technik oder Jagdwaffe man auch einsetzt: Der Schuft sitzt halt immer hinterm Schaft!

 

Ein gefährlicher Trend?

 

So offenbaren Gespräche mit Ausbildern großer Jagdschulen einen neuen, besorgniserregenden Trend. Viele Jungjäger investieren gar nicht mehr in ein Fernglas, sondern kaufen sich zur Zieloptik nur noch eine Wärmebildkamera (WBK).

 

Manch Jungjäger hat gar kein Fernglas mehr. Wer mit der WBK nur
noch nach Motto "search & destroy" jagt, degradiert sich schnell
selbst zum Schädlingsbekämpfer.

Und das, obwohl fast jeder erzählt, dass er den Jagdschein wegen des intensiven Naturerlebnisses gemacht hat. Man verkürzt sich nicht einmal mehr die Wartezeit mit dem Beobachten von Zaunkönig, Feldhase oder Libelle? Das macht nachdenklich! Denn auf der Strecke bleibt so viel: Das Beobachten und Genießen, das Riechen und Fühlen, das Ertragen, dass man auch mal als Schneider nach Hause geht. Denn nicht jeder Jagdtag ist Fangtag! Leider muss heutzutage alles so verdammt effektiv sein.

 

Technische Helfer fürs Revier

 

Dabei ist nicht alles an effektiver Technik schlecht. Ein elektronischer Fallenmelder, der einem eine SMS sendet, wenn Wild sich in der Kastenfalle gefangen hat, verkürzt dessen Wartezeit und damit unnötiges Leid vor dem Fangschuss. Eine technisch aufgerüstete Kirrung meldet, wann Schwarzwild das Kirrgut angenommen hat und verrät einem damit, wann man am besten ansitzt. Auch Wildkameras, die mit Bewegungsmeldern ausgestattet sind, und einem dann sogar nachts aufgenommene Filme oder Bilder per E-Mail oder SMS senden oder auf ihrer Speicherkarte sichern, geben Auskunft über Wildbestände, Rotten- und Rudelstrukturen, auffällige oder kranke Stücke, die Rückkehr des Wolfes und erleichtern damit das Reviermanagement.

 

Solche Helfer sind auf der Jagd mittlerweile nicht mehr wegzudenken und erleichtern es dem Jäger ungemein. Denn der steht wegen der Wildschäden, der Waldverjüngung, der Rückkehr großer Beutegreifer und drohender Wildseuchen heutzutage sowieso schon heftig unter Druck. Und das auch, weil alle – Bauern, Förster, Veterinärämter, Naturschutzbehörden – an ihm zerren und mitreden respektive mitbestimmen wollen. Aus dem einst „freien Wildbretschütz“ ist über die Jahre ein Erfüllungsgehilfe und Dienstleister geworden. Ein Dienstleister aber wird laut Definition für seine Dienstleistung bezahlt! Auf dem Ohr sind die erwähnten „Mitspieler“ allerdings (noch) taub…

 

 

 

 

Wald vor Wild oder Wald mit Wild?

 

Wegen Trockenstress und den Borkenkäfer-Kalamitäten scheint der deutsche Wald mal wieder in Gefahr zu sein. Die Forstpartie spricht schon vom „Waldsterben 2.0“ und hat mit dem gern genutzten Grundsatz „Wald vor Wild“ mal wieder das Wild als Allein- und den Jäger als Mitschuldigen im Visier, warum die Verjüngung der Wälder nicht recht funktioniert. Dass die Förster auch Fehler in der Bewirtschaftung (nach dem Weltkrieg waren Fichten-Monokulturen zur Bauholz-Produktion angesagt) gemacht haben ist das eine, das andere, dass nicht erst seit Corona die Natur zur extrem stark frequentierten Spielwiese der Erholungssuchenden geworden ist. Ein freies Ziehen und eine ungestörte Nahrungsaufnahme sind für das Wild kaum mehr möglich und Schäden im Wald programmiert.

 

Auf einen Hektar werden je nach Baumart zwischen 2.000 und 8.000 junge Bäume gepflanzt. Mischt die Naturverjüngung mit, können es auch Zehntausende kleiner Bäumchen sein. Bis zu einem hiebsreifen Bestand, bei dem je nach Baumart 70 bis 250 Bäume pro Hektar übrigbleiben, muss zwischendurch sowieso mehrfach – und das häufig mit schwersten Maschinen – durchforstet werden. Ein Wildschaden muss also nicht immer gleich ein Forstschaden sein.

 

Darüber hinaus wird es Wald, egal wie heiß und trocken es zukünftig wird, in irgendeiner Form immer geben. Vielleicht nicht so, wie ein Förster sich das vorstellt. Müssen denn alle Baumbestände immer geradschaftig, vollholzig und bestes Nutzholz sein? Ein krummer, schiefer, sich selbst mischender Dauerwald bindet meist sogar noch mehr CO2 und produziert ebenfalls Sauerstoff; beides wichtige und immer noch kostenlose Wohlfahrtsleistungen des Waldes. Hat der rein auf Ökonomie getrimmte Wirtschaftswald vielleicht sogar ein Stück weit ausgedient? Darüber hinaus muss sich auch der Mensch in der Natur mehr zurückzunehmen. Sonst helfen z.B. nur noch Betretungsverbote für ausgewiesene Wildruhezonen!

 

Text: Sascha Numßen, numssen@gmx.de, 0036 300 85 1071

Bilder: Sascha Numßen, Diane Helentjaris - unsplash, Sebastian Unrau - unsplash

 

 

März 01, 2024 — Sascha Numßen